Von »Berenice« zu »Ralph Norwood«
»Wie bei fast allen von Strubbergs Werken sind auch über die Niederschrift von Ralph Norwood keine Quellen überliefert.« So steht es auf Seite 886 im Anhang des kürzlich erschienenen Bandes V der Marburger Ausgabe, »Ralph Norwood«. Der Band befand sich Ende Juli gerade im Druck und ich mich im Urlaub an der Nordsee, als mich ein mehr als erfreuliches Schreiben erreichte, welches den zitierten Satz obsolet machte: Aus einem Privatarchiv sind mir vierzehn Briefe Strubbergs zur Kenntnis gebracht worden, die dieser im Laufe des Jahres 1859 an seinen langjährigen Verleger Carl Rümpler gerichtet hat, und die sowohl Auskunft über die Anfänge dieser Geschäftsbeziehung als auch einige kleine Informationen über die Entstehung von »Ralph Norwood« beinhalten. Dazu am Ende dieses Beitrages mehr…
Besonders interessant sind die Briefe aber vor allem, weil sie ausführlich den Drucklegungs- und Auslieferungsprozess von »An der Indianergrenze« dokumentieren, den Strubberg im März 1859 Rümpler noch unter dem ursprünglich geplanten Titel »An der Frontier« anbot – und dabei eine ganz ähnliche Verhandlungstaktik an den Tag legte wie schon vier Jahre zuvor bei Cotta (nachzulesen im Anhang von Band I der Marburger Ausgabe, »Amerikanische Jagd- und Reisebenteuer«). Mein großer Dank geht an dieser Stelle an die Eigentümerin der Briefe, die ich bei zwei ausführlichen Besuchen als eine wunderbare und herzliche, inzwischen pensionierte Kollegin kennengelernt habe, die mir die Verwertung der Briefe im Rahmen der Marburger Ausgabe großzügig gestattet hat. Daher also (Editions-)Planänderung! Den ursprünglich für 2018 geplanten Band »Bis in die Wildniß« werde ich um ein Jahr verschieben, um im kommenden Jahr stattdessen »An der Indianergrenze« vorzulegen.
Aber nun zurück zu »Ralph Norwood«… Am 26. März 1859 schrieb Strubberg an Rümpler: […] im September lege ich Ihnen ein neues, sehr bedeutendes Werk »Berenice« vor […]. Demnach sollte in der ursprünglichen Planung Ralph Norwoods Tochter Berenice die Protagonistin des Romans sein. In der endgültigen Fassung kommt sie jedoch nur im letzten Fünftel (!) des umfangreichen Romans vor. Mit der Kenntnis dieses Briefes erklärt sich somit auch der erkennbare Bruch in der Handlung von »Ralph Norwood« am Ende des vierten Bandes und insbesondere die dort erst erfolgende, im Rahmen der Gesamtkonzeption des Romans deplatzierte Einführung der Farland-Figur, einer offensichtlichen Variation des pseudoautobiographischen Protagonisten aus »Bis in die Wildniß«. Bei der ersten Lektüre des Briefes musste ich daher unwillkürlich an Richard Wagners »Ring des Nibelungen« denken. Diesen hatte Wagner auch mit »Siegfrieds Tod« (der späteren »Götterdämmerung«, der letzten Oper der Tetralogie) begonnen und sich dann in der Handlung immer weiter zurück gearbeitet. Am Ende einer jahrzehntelangen Werkgenese war nicht mehr Siegfried, sondern waren Wotan und Brünnhilde die tragenden Figuren des Gesamtzyklus geworden.